Rundbrief Juni 2001

wie der stift zu halten sey

 

„Der Kalligraph beginnt beim Anreiben der Tusche mit Atemübungen und dem Freimachen des Kopfes von Gedan­ken.Die Konzentrationsübung setzt sich fort mit einem Ansam­meln des Blu­tes in der Bauchgegend, im Sonnengeflecht, das sich spürbar erwärmt. Dann lenkt der Kalligraph den Blutstrom in die Schreibhand, er füllt den Pinsel, und mit voller Konzentration und in inniger Übereinstimmung mit seinem Wesen setzt er den ersten Strich."

Albert Kapr

Von der inneren zur äusseren Haltung

Die Formen, die wir zu Papier bringen, entsprechen unseren inneren Formen. Aus diesen inneren Formen erwachsen auch unsere äusseren Formen: unsere Schreibhaltung, die den gesamten Körper betrifft.

Wir schreiben so, wie wir sitzen, wie wir den Arm halten, wie sich der Stift in un­serer Hand befindet: locker, verspannt, leicht, schwer, fließend, stockend.

Der Regensburger Schreibmeister Heinrich G. Paricius schreibt dazu in seiner Regensburgischen Schreibschule 1710:

 

Ein Schreiber muß also erhaben sizzen, daß dessen beyde Ellbögen ganz frey und ungezwun­gen, auf dem Tische, worauf Er schreibet, sich bewegen können, den Leib kann Er zwar ein we­nig für sich neigen, jedoch also, daß Er sich nicht an den Tisch lehne, noch das Haubt all­zusehr für sich sinken lasse, sondern alle Zeit gerade und aufrecht sizze, auch die Füsse unter den Tisch nach seiner Bequemlichkeit, nehmlich den linken Fuß etwas besser hinaus als den rechten strekke, wie solches auß obiger Figur zu ersehen ist.

•  aufrecht sitzen

•  beide Beide auf dem Boden

•  geneigte Schreibfläche


Haltung des Armes


Dieser Holzschnitt aus dem Jahre 1540 zeigt zwei Positionen:
In der oberen Position liegt der Arm schwer auf der Unterlage.
In der unten gezeigten Position schwebt das Handgelenk frei und auch das Ellbogengelenk ermög­licht eine Bewegung des Unter­arms.

 

Haltung des Stiftes

 

 

Im Folgenden sind drei Haltungen des Stiftes gezeigt und er­klärt.
Die erste vorgestellte Haltung wurde in der Antike von Ägyptern, Griechen und Römern verwendet.
Die zweite Haltung wurde vermutlich in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit­rechnung angewendet.
Die dritte Haltung entspricht weitgehend unserer gewohnten Haltung.

 

Probieren Sie die einzelnen Haltungen gleich aus. Dazu empfiehlt es sich, einen gewohnten Schreibstift zu nehmen (Füller, Blei­stift, Faserschreiber) und zu beobachten, wie sich das Gefühl zu den einzelnen Haltungen über Tage hinweg ändert.



Der Stift befindet sich zwischen Zeigefinger und Daumen. Der Zeigefinger ist dabei gerade und berührt den Stift mit seinen ersten beiden Gliedern.



Der Stift wird zwischen dem Mittelfinger und dem Zeigefinger gehalten.



Der Stift befindet sich in Kontakt mit den vorderen Gliedern von Daumen, Zeige­finger und Mittelfinger. Alle diese Glieder können durch ein feines Muskelspiel den Stift in die verschiedensten Richtungen leiten.

Sind Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger am Stift, ist ein Optimum an feinmotorischen Bewegungen möglich.


Aufsätze zur Kalligrafie
Rundbriefe aus den Jahren 2001 und 2002
sowie die Petersburger Aufsätze